Lüdinghausen (cpm). Überraschend ist das schon, sagt Pflegedienstleiter Markus Sasse aus dem Seniorenheim Antoniushaus in Lüdinghausen. "Wenn die Menschen bei uns einziehen, fragen wir sie gleich im Aufnahmegespräch, welche Wünsche sie für ihr Sterben haben." Die Fragen dazu sind ganz konkret: Was ist, wenn Sie nicht mehr antworten können? Wie sollen die letzten Tage und Stunden verlaufen? Gibt es einen Duft oder eine Musik, die Sie dann spüren wollen? Gibt es Menschen, die Sie gerne sehen wollen?
"Das können wir nicht machen, das geht so nicht", war die Reaktion vieler Mitarbeiter, als die Idee vor einigen Jahren entstand. "Die Menschen wollen nicht darüber reden, nicht zu diesem Zeitpunkt." In den ersten Gesprächen aber wurde schnell deutlich, wie sehr den alten Menschen genau diese Fragen auf der Seele brannten. "Es sind nicht die Senioren - wir sind diejenigen, die nicht darüber reden wollen", erinnert sich Sasse an die Rückmeldungen seiner Kollegen.
Ihm ist bewusst, wie wichtig es ist, die Themen Sterben, Tod und Trauer unter den etwa 100 Bewohnerinnen und Bewohnern des Altenpflegeheims präsent zu halten. "Alles andere wäre respektlos", sagt er. Denn das Thema ist hier immer aktuell, es beschäftigt die Menschen in den Wohnbereichen - Bewohner wie Mitarbeiter. Der Umgang mit den Sterbenden und den Toten gehört zum Alltag. Wie in jedem Haus mit sehr alten, oft schwer kranken Bewohnern. Es soll darin aber eine Atmosphäre entstehen, wo die lebendigen Momente im Vordergrund stehen, so Sasse: "Solange Menschen sterben, leben sie ja noch - das heißt, dass wir auch dann Leben gestalten."
Und nach dem Tod? Da geht es um Würde und Normalität. "Wir wollen vermitteln, dass es okay ist, dass jemand gegangen ist, dass es okay ist, traurig zu sein, okay ist, mit den eigenen Fragen und Ängsten konfrontiert zu werden." Dass jemand gestorben ist, wird im Haus St. Antonius nicht totgeschwiegen. Der Tote bleibt noch einige Zeit in seinem Zimmer, es kann persönlich Abschied genommen werden.
Und er bleibt im Andenken auch noch in der Mitte der Wohngruppen, nachdem er das Haus bereits verlassen hat. Es gibt Gottesdienste und Totengebete. Name und Datum werden in ein Erinnerungsbuch eingetragen, das in der Kapelle ausliegt. Gedenkorte im Gemeinschaftsbereich werden gestaltet.
Im Wohnbereich St. Elisabeth in der zweiten Etage etwa liegt eine Rose neben einer Kerze und dem Bild von Hedwig K. auf einem kleinen Tisch im zentralen Wohnraum. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass durch den offenen Umgang mit dieser Situation viel Angst genommen werden kann", sagt der Seelsorger im Haus St. Antonius, Markus Breuer. "Es entsteht das Gefühl: Auch ich bin dann nicht alleine - da werden viele sein, die mitgehen, mitdenken und mich tragen können."
Breuer weiß, wie helfend Rituale, Orte und Gespräche auf alle Beteiligten wirken. "Wer in dieses Haus einzieht, ist an seiner letzten Lebensstation angekommen, hat hier seine letzte Wohnung bezogen", sagt er. Ein Verstecken vor dieser Tatsache fördert in seinen Augen nur Unsicherheiten und Ängste. "Ich höre von vielen, die froh sind, dass am Ende eben nicht das Stillschweigen und die Ohnmacht steht, sondern Offenheit und Gestaltung."
Genau das spürt Roswita Rödder. Die 85-Jährige erinnert sich lebendig an Hedwig K.: "Sie hat am Tisch neben mir gesessen, wir haben gesprochen, sie hatte einen schlesischen Akzent." Dem Abschied von ihr wird die Wucht genommen, weil der Endgültigkeit Erinnerungen entgegengesetzt werden. "Das tut gut - der Mensch mit seinem einzigartigen Wesen, mit seiner besonderen Biografie und seinem einmaligen Leben verschwindet nicht einfach so in der Versenkung."
Ein Video über die Trauerkultur im Seniorenwohnheim St. Antonius finden Sie unter www.caritas-bistum-muenster.de/palliative-kultur
070-2024 (Text: Michael Bönte) 6. Dezember 2024